Verfasst von Nikolaus von Twickel

Zusammenfassung

Die vorige Woche war von Ausweisungen aus “Volksrepublik Donezk” geprägt. Zuerst traf es zwei regierungskritische russische Journalisten, dann wurde der letzten privaten Hilfsorganisation die Akkreditierung entzogen. Die “Volksrepublik Luhansk” will unterdessen ihre Zahlungsengpässe behoben haben, weigert sich aber, Stromrechnungen für die eigene Trinkwasserversorgung zu bezahlen.

Ausführlicher Überblick

  1. “DNR” schmeißt “People in Need” raus

Am 26. November (Samstag) wurde bekannt, dass die tschechische Hilfsorganisation “People in Need” (Clovek v Tisni) ihre Akkreditierung in der “Volksrepublik Donezk” verliert. Als Gründe wurden laut der offiziellen Nachrichtenagentur “DAN” angegeben, dass die Organisation Forderungen der “Volksrepublik” “systematisch ignoriert” habe und Korruption bei der Verteilung von Hilfsgütern zugelassen habe – dies werde als “destruktive Arbeit” gewertet, weil als Folge Konflikte zwischen Hilfsempfängern und lokalen Verwaltungen entstanden seien.

Einzelheiten oder Belege enthält die Meldung nicht. Den ausländischen Mitarbeitern der Organisation wurden 24 Stunden gegeben, um die “Volksrepublik” zu verlassen.

“People in Need” erklärte dagegen in einer Mitteilung, dass die Separatisten offiziell keinerlei Gründe für den Schritt genannt hätten. Auch habe es keinerlei Signale gegeben, dass die Organisation Probleme beseitigen solle, hieß es. Man sei “extrem besorgt,” dass die Entscheidung schutzlose Zivilisten treffe.

Am 28. November (Montag) veröffentlichte “DAN” eine weitere Erklärung, diesmal von Denis Puschilin, dem  Parlamentspräsident und Chefunterhändler der Donezker Separatisten, der auch dem Komitee zur Akkreditierung ausländischer Hilfsorganisationen vorsitzt.

Puschilin wiederholt darin die Vorwürfe vom Samstag, fügt aber noch zwei weitere Gründe für den Entzug der Akkreditierung hinzu. Er wirft “People in Need” vor, im Jahr 2015 eine Ausstellung in Prag mitfinanziert zu haben, in der Karikaturen des Donezker Separatistenführers Alexander Sachartschenko gezeigt worden seien.

“Nicht minder empörend” findet es Puschilin, dass einer der Gründer von “People in Need”, der tschechische Europaabgeordnete Jaromir Stetina, den Gründungskommandeur des umstrittenen ukrainischen Freiwilligenbataillons “Asow”, Andriy Bilezkij, eingeladen habe, im Europaparlament zu sprechen.

“Asow” gilt als Sammelbecken für Neonazis. Bilezkij, der seit November 2014 im ukrainischen Parlament sitzt, war vor seiner militärischen Karriere Gründer der “Sozial-Nationalen Versammlung”, einer offen rechtsradikalen Gruppierung aus Charkiw.

Die Einladung Bilezkijs im Europaparlament zu sprechen ist für Puschilin ein weiterer Beweis für die “Voreingenommenheit” der Organisation. Was er nicht sagt, ist dass Stetina die Einladung bereits im Juli 2015 ausgesprochen hatte und dass Bilezkij offenbar nie im Europaparlament erschienen ist. Puschilin erklärt nicht, warum “People in Need” fast eineinhalb Jahre in der “DNR” arbeiten konnte, bevor diese Vorwürfe erhoben wurden. Zudem war bereits im Februar ein extrem negativer Artikel über “People in Need” auf der russischen Propaganda-Site ukraina.ru erschienen.

Der Rausschmiss von “People in Need” erinnert stark an das Schicksal von “Ärzte ohne Grenzen” (Medecins sans Frontieres). Die französische Hilfsorganisation wurde im Oktober 2015 ähnlich abrupt aus beiden “Volksrepubliken” verbannt. In Luhansk beschlagnahmten die Separatisten damals Medikamente in einem Lager der Organisation und warfen ihr vor, illegal Drogen an Bedürftige verteilt zu haben. „Ärzte ohne Grenzen“ hat die Vorwürfe, die auch Spionage umfassten, scharf zurückgewiesen. Die Organisation ist seitdem weiter in der Ostukraine aktiv, jedoch nur auf Gebieten, die von der ukrainischen Regierung kontrolliert werden.

Über die wahren Gründe der Verbannung von “People in Need” darf weiter spekuliert werden. Bereits im März dieses Jahres, als sich “People in Need” wegen Akkreditierungsproblemen aus Luhansk zurückzog, hatten ukrainische Medien gemutmaßt, dass Russland die volle Kontrolle über Hilfslieferungen in den Donbass wolle.

Der letzte russische Hilfskonvoi kam laut OSZE am 27. Oktober über die russisch-ukrainische Grenze. Nach wie vor erreichen aber Lieferungen aus der Ukraine die Separatistengebiete, und zwar vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz sowie von der Rinat-Achmetow-Stiftung – des aus Donezk stammenden Geschäftsmanns gleichen Namens.

 

  1. “DNR” schmeißt russische TV-Journalisten raus

Am 25. November (Freitag) wurde bekannt, dass in Donezk zwei russische Journalisten vermisst werden. Die Reporter des kremlkritischen Fernsehsenders “Doschd” hatten noch mitteilen können, dass sie von Angehörigen des “Staatssicherheitsministeriums” (MGB) festgenommen worden seien, bevor der Kontakt zu ihnen abbrach. Am späten Abend teilte das “Ministerium” mit, dass die Journalisten Vassilij Polonskij und Sergei Jerschenkow ausgewiesen würden. Als Grund gab das MGB an, dass sie falsche Angaben gemacht hatten, um eine Akkreditierung der “DNR” zu erhalten. Welche Angaben falsch waren, wurde nicht mitgeteilt.

Polonskij sagte später, ihm sei vorgeworfen worden, eine falsche Handynummer angegeben zu haben, was er aber bestreitet.

Das MGB erklärte weiter, dass bei der Sichtung des Videomaterials der Journalisten festgestellt wurde, dies sei nicht objektiv und “provokant”. “Die soziale, wirtschaftliche und politische Lage in der Republik wird in falschem Licht wiedergegeben,” stellt das Ministerium fest.

Nach seiner Rückkehr nach Moskau berichtete Jerschenkow, dass das gesamte Audio- und Tonmaterial von ihm und seines Kollegen vernichtet worden sei. Die mit Kalaschnikows bewaffneten MGB-Mitarbeiter hätten beide Journalisten am Freitagabend in einer Wohnung festgenommen, die sie bei ihrer Ankunft in Donezk eineinhalb Tage zuvor angemietet hatten. Nachdem sie ins “Ministerium” gebracht wurden, seien alle Inhalte auf ihren Mobiltelefonen und Laptops gelöscht worden, sagte er. Danach seien die zwei in einem Geländewagen an die Grenze gefahren und russischen Grenzbeamten übergeben worden.

Jerschenkow berichtete, dass der Anführer der MGB-Leute einen deutlichen Moskauer Akzent gehabt habe. Der Mann, der sich lediglich als “Sergei Nikolajewitsch” (Vorname und Vatersname) vorstellte, habe gebeten, “Sascha” zu grüßen, wenn die zwei wieder in Moskau wären. Jerschenkow vermutet, dass damit Alexander (Sascha) Borodai gemeint war, der Moskauer Politologe, der 2014 knapp drei Monate lang “Premierminister” der “DNR” war. Jerschenkow wertete das als Hinweis darauf, dass das “Sicherheitsministerium” nicht nur von Separatisten, sondern von russischen “Kuratoren” geführt wird.

Auch wenn viele Einzelheiten unklar sind, so zeigt der Fall, dass der Zugang zu den “Volksrepubliken” nicht mehr so einfach ist wie zu Beginn des Konflikts, als ausländische Journalisten ihre Akkreditierung nach der Einreise problemlos im Donezker “Informationsministerium” abholen konnten. Seit im Juni 2015 der Korrespondent der (ebenfalls kremlkritischen) Moskauer Zeitung “Nowaja Gaseta”, Pawel Kanygin, vor seiner Ausweisung von MGB-Mitarbeitern schwer misshandelt wurde, hat es offenbar zahlreiche Fälle gegeben, in denen eine Akkreditierung verweigert wurde. Darüber wird aber in der Regel nicht berichtet. Im Onlineportal “Medusa” schrieb Kanygin im November 2015, dass etwa Korrespondenten der Londoner “Times” und der US-Zeitschrift “Newsweek” die Akkreditierung nicht bekommen hätten.

Dokumentiert ist lediglich der Fall des französisch-niederländischen Fotografen Pierre Crom, der im Januar 2016 aus der “LNR” ausgewiesen wurde, weil er angeblich gegen Akkreditierungsvorschriften verstoßen hatte.

 

  1. Plotnizkij bestreitet Zahlungsunfähigkeit der “LNR”

In der “Volksrepublik” Luhansk (“LNR”) erklärte unterdessen Republikchef Igor Plotnizkij, dass die “technischen Schwierigkeiten” bei der Zahlung von Gehältern und Renten ausgeräumt seien. Es gebe keinen Grund zur Panik – alle zu Monatsbeginn eingetretenen Rückstände seien beglichen, kündigte Plotnizkij auf einer Pressekonferenz am 28. November (Montag) an.

Bereits am 24. November (Donnerstag) hatte der Luhansker “Finanzminister” Jewgenij Manuilow in einem TV-Interview beteuert, dass der gesamte Monat November finanziert sei und keine Rede von einer Pleite der Volksrepublik sein könne. Allerdings spricht Manuilow auch davon, dass der Haushalt der “Volksrepublik” jeweils für lediglich drei Monate angelegt ist. Dazu merkt der ukrainische Journalist Serhiy Harmash an, dass die Anführer der “LNR” so gut wie nicht planen, sondern “von der Hand in den Mund” leben.

Plotnizkij war im November wegen Rückstande bei der Auszahlung der Gehälter und Renten unter Druck geraten, aber auch deshalb, weil er in mehreren russischen Medien der Korruption bezichtigt wurde (s. Newsletter Nr. 8). Zudem ist sein Vorgänger Valerij Bolotow (er gilt als potentieller Rivale Plotnizkijs) nach zweijährigem Schweigen wieder aufgetaucht und erklärte vorige Woche in einem Interview der russischen Nachrichtensite “Novorosinform”, dass Luhansk nur eine Zukunft hat – mit Russland.

Um Geld geht es auch in einem schwelenden Streit zwischen Luhansk und Kiew über die Trinkwasserversorgung. In Teilen der “LNR” droht ab 1. Dezember das Wasser abgestellt zu werden, wenn es keine Einigung im Streit um unbezahlte Stromrechnungen gibt.

Die Trinkwasserversorgung der “LNR” ist größtenteils abhängig von Pumpstationen, die auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet liegen. Einige Pumpstationen stellten im Oktober den Betrieb ein, weil die “LNR” den Strom dafür nicht bezahlt hatte. Seitdem hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz die Zahlungen übernommen, aber nur bis Ende November. Eine Einigung in dem Streit zwischen Kiew und den Separatisten war bis zuletzt nicht in Sicht. Stattdessen forderte “LNR”-Chef Plotnizkij die Ukraine auf, die Stromrechnungen aus dem Verteidigungshaushalt zu bezahlen. Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin behauptete, Russland sei dagegen, dass Luhansk Zahlungen leiste.

Währenddessen setzten die offiziellen “LNR” Medien ihre Serie von Warnungen vor Anschlägen ukrainischer Spezialeinheiten auf die eigene Wasser-Infrastruktur fort. Am 28. November (Montag) behauptete das Luhansker “Staatssicherheitsministerium” (MGB) wieder, dass ukrainische Agenten einen Anschlag auf Wasseraufbereitungsanlagen planten.

Bereits in der Vorwoche hatte das MGB vor einem angeblich geplanten Anschlag auf einen Kanal gewarnt, der die Stadt Schtschastja unter Wasser gesetzt hätte (s. Newsletter Nr. 8).