Nikolaus von Twickel
Zusammenfassung
In der vergangenen Woche reisten die Chefs der „Volksrepubliken“ auf die von Russland annektierte Krim. „LNR“-Chef Plotnizki und sein Donezker Kollege Sachartschenko redeten offen davon, dass der Donbass bald wie die Krim zu Russland „zurückkehren“ solle. Plotnizki stellte sogar das Minsker Abkommen direkt in Frage, das, wie er findet, unter dem neuen US-Präsidenten nicht mehr aktuell sein wird. Gleichzeitig wurden schärfere Zollvorschriften zwischen „LNR und „DNR“ bekannt.
Ausführlicher Überblick
- „LNR“-Chef Plotnizki distanziert sich vom Minsker Abkommen
Der Chef der „Volksrepublik” Luhansk, Igor Plotnizki, überraschte am 18. Januar (Mittwoch) mit einer Erklärung, in der er sich praktisch vom Minsker Abkommen lossagte: Die „LNR” sei ein unabhängiger Staat, der niemals in die Ukraine zurückkehren werde: „Wir haben den Zeiger auf die Rückkehr nach Hause gestellt – nach Russland, in die russische Welt,” heißt es in der auf seiner Website veröffentlichten Erklärung.
Plotnizki, der sich zum Zeitpunkt seiner Erklärung auf der von Russland annektierten Krim aufhielt, fügte hinzu, auf der Halbinsel spüre er die Einheit aller ethnischen Russen wie nie zuvor: „Die Rückkehr der Krim nach Russland ist der erste und bisher einzige Präzedenzfall der Vereinigung des am Meisten geteilten Volkes der Welt (gemeint sind die Russen). Die Bewohner des Donbass aber haben am 11. Mai 2014 ebenfalls ihren Willen ausgedrückt (die Ukraine zu verlassen – an diesem Tag hielten die Separatisten umstrittene Unabhängigkeitsreferenden ab) und bestätigen diesen Willen Tag für Tag mit ihrem heroischen Widerstand gegen die ukrainische Aggression.”
Mit diesen Aussagen positioniert sich Plotnizki klar außerhalb des Abkommens von Minsk, das eine Reintegration der separatistischen „Volksrepubliken” in die Ukraine vorsieht.
Dieser Schritt ist bemerkenswert, weil Plotnizki bisher eigentlich als der etwas gemäßigtere unter den beiden ostukrainischen Separatistenführern galt. Seine Erklärung wurde – trotz oder gerade wegen ihrer Tragweite – von führenden Medien seiner „Volksrepublik” Luhansk ignoriert. Plotnizkis vermeintlich radikalerer Kollege aus Donezk, Alexander Sachartschenko, der zusammen mit ihm auf die Krim gereist war, verteidigte diesmal das Minsker Abkommen.
Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am 17. Januar (Dienstag) mit Plotnizki in der regionalen Hauptstadt Simferopol versprach Sachartschenko, dass sowohl seine „DNR” als auch die „LNR” das Minsker Abkommen weiter umsetzen – auch wenn ihre Streitkräfte lieber zum Angriff übergehen würden: „Solange es Minsk gibt, solange es die kleinste Möglichkeit gibt, diesen Konflikt friedlich zu lösen, muss man sich daran klammern.” Andernfalls, fügte er hinzu, würden tausende Leben aufs Spiel gesetzt und es drohe die Vernichtung von Infrastruktur, die nachher wieder aufgebaut werden müsse.
Andererseits sagte Sachartschenko auch, dass man dem Beispiel der Krim folgen und eine Einheit mit Russland herstellen wolle. „Ich bin überzeugt, dass die künftige Vereinigung der russischen Welt in Donezk und Luhansk stattfinden wird“, wurde er zitiert.
Mit dem Begriff „Russische Welt“ hatte Russlands Präsident Wladimir Putin nach der Annexion der Krim 2014 für die Vereinigung russischsprachiger Regionen geworben.
Plotnizki betonte dass die Bewohner der Krim und des Donbass ein Volk seien. „Heute folgen wir eurem Pfad und kehren zu unseren Brüdern zurück. Wir sind alle Russen und haben dieselben Wurzeln“, sagte er.
Anlass der Krimreise der beiden Separatistenführer war der 363. Jahrestag des Vertrages von Perejaslaw. Im Januar 1654 in der Stadt Perejaslaw bei Kiew leisteten die Saporoger Kosaken dem Zaren einen Treueeid. In der russischen Geschichtsschreibung gilt dieser Tag als Datum der Vereinigung der Ukraine mit Russland.
- Bedeutet Präsident Trump das Ende von Minsk?
Plotnizkis Haltung zu Minsk hängt offenbar eng mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump zusammen. Der „LNR“-Chef wiederholte auf der Krim seine Theorie, dass sowohl das Schicksal des Friedensvertrags als auch das Schicksal des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko nach Trumps Amtsantritt besiegelt seien. Noch sehe es so aus, als sei Poroschenko ohne Alternative: „Wenn sich das nach dem 20. (Januar) ändert, wenn der neue Präsident (der USA) irgendwelche Entscheidungen trifft, dann bleibt ihm (Poroschenko) nur noch ganz wenig Zeit”, sagte Plotnizki in seiner Rede.
Ähnlich hatte Plotnizki bereits eine Woche zuvor argumentiert, als er behauptete, dass sowohl der Minsker Vertrag als auch Poroschenko nach Trumps Amtsantritt „nicht mehr aktuell” sein werden. „Mir scheint, dass sowohl die Vereinigten Staaten als auch das „Normannische Quartett” dieser Frage ein Ende setzen werden, sagte er bei einer Pressekonferenz in Luhansk.
Sachartschenko vermied es dagegen Minsk zu erwähnen, als er am 21. Januar (Samstag), einen Tag nach Trumps feierlichen Amtseinführung, dem neuen amerikanischen Präsidenten gratulierte.
“Ich gratuliere Donald Trump. Ich hoffe, dass er dem Prinzip des schlauen Egoismus folgen wird, auch in der Ukraine-Frage,” schrieb er mit dem Hashtag #TrumpInauguration auf seinem sonst selten genutzten Twitter-Konto. Etwas später erklärte Sachartschenko: damit sei gemeint, dass die USA sich aus der Ukraine zurückziehen sollten, weil dies nur Kosten und Risiken bringe. „Besser wäre es, Kiew mit uns an den Verhandlungstisch zu setzen,” schrieb er. Nach Lesart der Separatisten ist die derzeitige ukrainische Führung eine Art Marionettenregierung der USA.
Ob Plotnizki mit seiner Prognose zu Minsk Recht behält, bleibt abzuwarten. Der „LNR”-Chef hatte zuletzt in seiner eigenen „Volksrepublik” mit wachsendem Widerstand in den eigenen Reihen zu kämpfen (s. Newsletter Nr. 15). Das offizielle „LNR” Nachrichtenportal lug-info.com berichtete gar nicht über seine Erklärung: die politischen Aspekte von Plotnizkis Krim-Reise wurden in einem Bericht über eine Ausstellungseröffnung abgehandelt. Im „Staatsfernsehen“ wurde die Erklärung von einem Ansager aus dem Off verlesen, in der Wochenschau desselben Senders vom 22. Januar wurde sie nicht mehr erwähnt.
3. „LNR“ verschärft Zollvorschriften im Verkehr mit „DNR“
Während Sachartschenko und Plotnizki auf der Krim über Wege zur Einheit aller Russen gesprochen haben, sieht die Realität im Donbass anders aus. Am 17. Januar (Dienstag) erklärte die „LNR“-Regierung, dass die Zollvorschriften im Warenverkehr mit der „DNR“ verschärft werden. Demnach werden die Mengen, die zollfrei zwischen den „Volksrepubliken“ mitgeführt werden dürfen, begrenzt – so dürfen nur 3 Kilogramm Fleisch, 1 Liter Wodka und jeweils 50 Kilo Obst und Gemüse eingeführt werden.
Die neuen Regeln sorgten nicht nur in der Ukraine für sarkastische Kommentare, sondern auch in Donezk, wo der prominente ex-Kommandeur Alexander Chodakowski von Anzeichen einer „Bananenrepublik“ sprach: So werde das Reisen zwischen „DNR“ und LNR“ kaum einfacher als das passieren der Kontaktlinie in die (von Kiew kontrollierten Teile der) Ukraine, schrieb er auf Facebook.
„Was haben wir über die Warteschlangen an der Grenze mit Russland geschimpft – jetzt gibt es die an der Grenze zwischen unseren eigenen, patriotischen und antifaschistischen Republiken,“ stellte Chodakowski in seinem Post fest.
Die Tatsache, dass zwischen den beiden „Volksrepubliken“ Zölle erhoben werden, ist auch deshalb pikant, weil ja dem Konflikt in der Ost-Ukraine die Maidan-Proteste vorausgingen, bei denen die Frage, ob die Ukraine einem Handelsabkommen mit der EU oder eine Zollunion mit Russland eingeht, eine zentrale Rolle spielte. Die Entscheidung von Präsident Viktor Janukowytsch zugunsten der Zollunion verzeichnete den Beginn der offenen Gewalt in der Ukraine.
Für Chodakowski ist die Einführung des Zollregimes ein Zeichen dafür, dass die Gegensätze zwischen den Anführern der „Volksrepubliken“ einen Höhepunkt erreicht haben: Sachartschenko sehe sich zwar als der Stärkere, aber Plotnizki sei nicht bereit, klein beizugeben, schreibt er auf Facebook. „Solange er in den politischen Prozessen von Minsk eingebunden ist, genießt er ein gewisses Maß an Immunität,“ schrieb Chodakowski über den „LNR“-Chef.
Sachartschenko selbst nannte während seiner Krim-Reise den Minsker Vertrag als Grund, warum „LNR“ und „DNR“ nicht vereinigt werden könnten: Er und Plotnizki hätten den Vertrag als Staatsoberhäupter unterzeichnet. Eine wie auch immer geartete Vereinigung würde daher eine Veränderung des Minsker Formats bedeuten, „und dazu sind wir derzeit nicht bereit“, erklärte Sachartschenko der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti zufolge.
Diese Theorie des „DNR“-Chefs wurde aber schnell widerlegt. Der aus Donezk stammende Publizist Roman Manekin erinnerte daran, dass Sachartschenko und Plotnizki zwar die einzelnen Teile des Minsker Vertrages unterschrieben haben, jedoch im Gegensatz zu den anderen Unterzeichnern bloß als Einzelpersonen, ohne Angabe ihrer Funktion. Dies sei unter Druck des Kremls geschehen. Manekin betont, dass der Vertragstext explizit keine „Volksrepubliken“ erwähnt, sondern „Bestimmte Regionen der Gebiete Donezk und Luhansk“.
Der Moskauer Politologe Alexei Tschesnakow hatte im Dezember erklärt, dass es für die „Volksrepubliken“ ein Vorteil ist, zu zweit zu sein: Das erschwere die Verhandlungen für die Ukraine, weil Kiew dann mit zwei statt nur einer Seite sprechen müsse.