Von Nikolaus von Twickel
Zusammenfassung
In der vergangenen Woche ging es in den “Volksrepubliken” der Ostukraine vor allem um das sogenannte Entflechtungsabkommen zwischen den Regierungstruppen und Separatisten. In Luhansk organisierte die gleichnamige “Volksrepublik” am Montag eine Großdemonstration gegen eine bewaffnete OSZE-Mission und stellte dies in Zusammenhang mit den Vorwahlen vom 2. Oktober. Eine weitere prominente Figur aus Luhansk verstärkt die Reihen der nach Russland geflohenen Separatistenführer, während ein ex-Separatistenkommandeur aus Donezk verrät, dass Moskau nach wie vor die “Volksrepubliken” finanziert.
Ausführlicher Überblick
- Das Entflechtungsabkommen
Das am 21. September in Minsk unterzeichnete Dokument schreibt vor, dass sich die Truppen auf beide Seiten zwei Kilometer von der “Kontaktlinie” entfernen. Das Abkommen soll zunächst nur an drei Orten umgesetzt werden – Zolote und Stanyzia Luhanska im Gebiet Luhansk, sowie Petriwske im Gebiet Donezk.
Bis Montag war die Umsetzung laut OSZE in Petriwske eingeleitet und in Zolote bis auf Minenräumung umgesetzt, während es in Stanyzia Luhanska nicht voran ging – dort hatte das ukrainische Verteidigungsministerium den Abzug am Sonntag ausgesetzt und erklärt, dass man von der gegnerischen Seite beschossen werde.
Während die ukrainische Regierung und die Luhansker Separatisten sich gegenseitig die Schuld an der schleppenden Umsetzung zuschoben, argumentieren ukrainische Beobachter, dass das Abkommen nur eine Show sei, mit die andere Seite (Russland) Kompromissfähigkeit demonstrieren will. Sein Zustandekommen sei nur dem Treffen von US-Unterhändlerin Victoria Nuland und Wladislaw Surkow, dem Kreml-Zuständigen für die Ostukraine, vergangene Woche in Moskau zu verdanken, sagt Serhij Garmasch, der Chefredakteur der Nachrichtensite ostro.org.
Garmasch verweist darauf, dass es auf dem ukrainisch kontrollierten Gebiet Proteste gegen einen Truppenabzug gegeben hat. So gingen am 5. Oktober in Wolnowacha und Stanyzia Luhanska Aktivisten auf die Straße, denn sie befürchteten, dass ihre Siedlungen nachher den Separatisten in die Hände fallen könnten. Solche Proteste hat es augenscheinlich in den von beiden “Volksrepubliken” kontrollierten Gebieten nicht gegeben.
Die Tatsache, dass das Abkommen in Kiew höchst umstritten ist, macht auch ein von einem prominenten Rada-Abgeordneten – Mustafa Nayyem – am 7. Oktober veröffentlichte Facebook-Post deutlich. Darin schreibt er, dass nach Umsetzung des Abkommens das ukrainische Parlament zur Annahme eines Wahlgesetzes und einer Verfassungsänderung gebracht werden soll. Nayyem, der im November 2013 den ersten Aufruf für den EuroMaida-Protest tätigte, warnt vor neuen Protesten, die das Land destabilisieren könnten.
2. Die “Primaries”
Die umstrittenen Vorwahlen in beiden “Volksrepubliken” am 2. Oktober waren bereits ausführlich Gegenstand des Monitorings der vergangenen Woche. An diesem Montag hatten sie ein Nachspiel in Luhansk, wo sich einige Tausende (offiziell 17,000) Menschen zu einer Demonstration gegen eine bewaffnete ausländische Friedensmission versammelten. Bei der Kundgebung, zu der “Republikchef” Igor Plotnitzkij aufgerufen hatte, ohne jedoch selbst zu erscheinen, betonten Redner, dass die “Volksrepublik Luhansk” mit den “Primaries” ihre Fähigkeit bewiesen habe, die Sicherheit bei Wahlen zu gewährleisten.
Eine sehr ähnliche Großdemonstration gegen eine bewaffnete Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat es in Donezk genau vor vier Monaten – am 10. Juni gegeben.
Die ukrainische Regierung fordert seit längerem eine bewaffnete Polizeimission, um die Sicherheit bei Wahlen in den von ihr nicht kontrollierten Gebieten zu gewährleisten. Präsident Petro Poroshenko hat dies im September bei einem Treffen mit OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier bekräftigt. Das Vorhaben gilt in der OSZE als schwer durchsetzbar, und der deutsche Vorsitz hat sich bereits im April tendenziell dagegen ausgesprochen.
Allerdings meint Kiew bei Wahlen solche nach den Vorgaben des Minsker Vertrages, also nach ukrainischem Recht, an denen sowohl ukrainische Parteien und Kandidaten sowie geflohene Wähler teilnehmen können.
Kiew hat die Vorwahlen in den “Volksrepubliken” als “Farce” kritisiert und gewarnt, dass ihr Abhalten die andauernden Gespräche der Minsker Kontaktgruppe gefährdet.
Kritik an den “Primaries” kam vergangene Woche auch aus Russland – vom ehemaligen Donezker “Verteidigungsminister” Igor Girkin, der als Sprachrohr der von Moskau abgesetzten Separatistenführer der ersten Stunde gilt.
Girkin, besser bekannt unter seinem Alias Igor Strelkow, bezeichnet die Vorwahlen in einer Videobotschaft als “das gleiche Potemkinsche Dorf” wie die jüngste Wahl zur russischen Staatsduma. “Nur mit noch mehr Marionettenhaftigkeit und Groteske,” fügt er hinzu.
3. Der Anti-Plotnizkij-Putsch
Die Riege der im russischen Exil lebenden ehemaligen Separatistenführer wurde jüngst um eine prominente Figur reicher. Alexei Karjakin, der lange als Parlamentsvorsitzender der “Volksrepublik Luhansk” als Nummer zwei der dortigen Separatisten galt, meldete sich am Mittwoch (just dem Tag des Surkow-Nuland Treffens) in der Zeitung „Kommersant“ aus Moskau zu Wort.
Karjakin, der im Frühjahr abgesetzt wurde und seit September als einer der Hauptverdächtigen in einem dubiosen Putschversuch gegen Plotnizkij von der “LNR” steckbrieflich gesucht wird, bekräftigt in dem Interview, dass sein Freund und angeblicher Mitverschwörer Gennadij Zypkalow von Plotnizkijs Leibwächtern ermordet wurde und nicht, wie offiziell verkündet, Selbstmord beging.
Karjakin zufolge arbeiten in der Luhansker Staatsanwaltschaft noch viele Fahnder aus der ukrainischen Zeit: “Die säubern jetzt alle, die mit der Waffe die Republik verteidigt haben,” wird er zitiert.
4. Wirtschaftliche Selbstständigkeit
Auswärtige Beobachter sind sich einig, dass sowohl die Luhansker als auch die Donezker “Volksrepubliken” ohne russische Finanzhilfe nicht überlebensfähig sind – auch wenn führende Separatisten sowie Moskau das Gegenteil behaupten. Am Mittwoch veröffentlichte die Nachrichtenagentur Reuters ein Interview mit dem prominenten Donezker ex-Separatistenkommandeur Alexander Chodakowskij, in dem dieser sagt, dass Moskau sehr wohl Renten und Gehälter für Staatsangestellte bezahlt.
Anders sei es unmöglich, die Republik am Leben zu halten. “Die Hilfe aus Russland ist größer als die Summe, die wir in der Republik einnehmen,” wird Chodakowskij zitiert, der nach seiner Absetzung als “Sicherheitsratschef” und Brigadekommandeur offenbar unbehelligt in Donezk lebt, auch wenn er sich während des Interviews in Moskau befand (am Donnerstag meldete er sich mit seiner traditionellen YouTube-Sendung aus Donezk).
Über die Höhe der staatlichen russischen Hilfe für beide “Volksrepubliken” ist viel spekuliert worden. Im Januar hatte die “Bild”-Zeitung den Betrag mit monatlich 79 Millionen Euro beziffert. Der Reuters-Bericht nennt keine konkreten Zahlen, fügt aber hinzu, dass rund ein Fünftel des russischen Staatshaushaltes von 250 Milliarden US-Dollar als geheim gekennzeichnet sind.
Wie lange der durch Rezession arg gebeutelte russische Staat diese Kosten weiter tragen kann, ist ebenso unbekannt. Vor allem die Donezker Separatisten haben aber dieses Jahr wiederholt erklärt, dass sie ihre Einnahmen verbessern wollen, vor allem durch die Verstaatlichung der in ihrem Gebiet verbliebenen Betriebe.
So verkündete am 27. September Separatistenchef Alexander Sachartschenko (der vor dem Krieg als Einkäufer für eine ukrainischen Hühnergroßbetrieb gearbeitet haben soll), dass eine große Hühnerfarm in Shachtjorsk modernisiert werden soll, um bald Fleisch in die “LNR” und nach Russland zu exportieren.